Montag, 12. Januar 2015

Rezension „Föhn mich nicht zu“ von Stephan Serin


„Föhn mich nicht zu“ von Stephan Serin

Der angehende Lehrer Stephan Serin berichtet aus seiner Zeit als Referendar an einem Berliner Gymnasium. Der Untertitel des Buches – Aus den Niederungen deutscher Klassenzimmer – trifft es relativ gut, denn, was Herr Serin hier nüchtern berichtet, lässt unsereinem die Haare zu Berge stehen. Nicht wirklich beschulbare Schüler, ausgebrannte Lehrer, Chaos in deutschen Klassenzimmern – und alle versuchen sich irgendwie durchzuwurschteln. Ist es wirklich so schlimm um deutsche Schüler bestellt?

Serin unterrichtet Französisch und Geschichte und der siebten bis elften Klasse. Er trifft hier auf Klassen mit bis zu 90 % Migrationshintergrund, die ihn dazu zwingen seine Anforderungen drastisch zurückzuschrauben. Kaum einer der Schüler kann einen vollständigen und fehlerfreien deutschen Satz aussprechen, die wenigen, die es können, sind in der Klasse völlig unterfordert. Manchmal muss eben eine Antwort auf Arabisch genügen, die von einem zweiten Muttersprachler bestätigt wird. Die meisten Lehrer haben ihre Schüler längst aufgegeben und auch Serin wird in seinem Idealismus schnell gebremst und lässt sich von dieser Mentalität immer häufiger anstecken.

Aufgrund seiner orthopädischen Leiden und seiner Größe häufig als „Bonsai“ oder „Nabelküsser“ bezeichnet, versucht er mit coolness vor der Klasse zu bestehen. Das klappt nicht immer. Man muss schon eine gehörige Portion Selbstironie haben, um über seinen eigenen peinlichen Schulalltag als Junglehrer ein ganzes Buch zu schreiben. Serin erzählt humorvoll, intelligent und bissig von den Leiden eines jungen Lehrers. Leider karikiert er sich dabei viel zu oft macht sich dabei selbst zur Lachnummer. Das mag gewollt sein und an einigen Stellen auch den wahren Erlebnissen von Stephan Serin entsprechen, wirkt aber häufig sehr übertrieben. Ich glaube keine Sekunde, dass ein Lehramtsstudent, der im Jahre 2010 zwischen 25 und 30 Jahren alt ist, kein Mobiltelefon hat oder nicht weiß, wie man einen Videorecorder bedient!

Der tägliche Kampf mit bildungsfernen Schülern driftet dabei fast ins Groteske. Serin versucht diesem Kampf gegen Windmühlen mit Galgenhumor zu begegnen und überzeichnet ernste Vorfälle mit fiktiven Elementen. Der Referendar Serin wendet auch Methoden an, die wahrscheinlich keiner von uns gutheißen würde. Die Noten der guten Schüler herabzusetzen, damit sie vor der Klasse nicht als Streber gelten und aus dieser Enttäuschung was fürs Leben lernen, hat aber selbst mit Satire nichts mehr zu tun.

Aber was wissen wir schon vom Alltag der Lehrer. Auch Lehrer sind irgendwo Menschen, jeder von ihnen hat so irgendwie seine Ticks und die meisten werden sich tatsächlich mit den Situationen an ihren Schulen abgefunden haben. Auch in die Rolle als Lehrer muss man erst hineinwachsen und selbstverständlich stellt Serin die Rolle der schon „abgehärteten“ Lehrer etwas überspitzt dar. Man weiß zwar nie wann Serin seinen speziellen Humor auspackt, aber auch wenn die Beispiele überspitzt sind, wird klar, dass subjektiv bewertende Lehrer an sich keine Seltenheit sind.

Doch Serin berichtet nicht nur aus seiner Arbeit mit den Schülern, sondern auch was die arbeitsintensive Zeit als Referendar mit seinem Privatleben anrichtet. Mit Riesenbammel vor dem zweiten Staatsexamen gesteht er sich sogar fast ein, dass er gar kein Lehrer werden will. Seine humorvolle Art zu schreiben hat mich vom ersten Kapitel an dazu bewogen weiterzulesen. Bewusst übertrieben nimmt er die Situationen in deutschen Klassenzimmern aufs Korn und kommt dabei der Realität bedrohlich nahe.

Manchmal muss man lachen, um nicht weinen zu müssen, denn was Serin in seinem Unterricht für Absurditäten passieren, ist sicher nicht alles frei erfunden. Als ich mich im Internet über das Buch informierte, waren viele der Meinung, dass es so schlimm doch gar nicht sein kann, selbst nicht an Berliner Schulen. Ich habe mich daraufhin mit einigen Bekannten unterhalten, die in Berlin bis vor Kurzem zur Schule gegangen sind. Sie konnten mir viele der angesprochenen Situationen tatsächlich bestätigen. Stephan Serin selbst sagt über seine Quellen, dass er manches selbst erlebt hat, manches stammt aus Anekdoten von anderen Kollegen. Vieles ist überspitzt dargestellt, Serin selbst warnt davor das Buch allzu ernst zu nehmen, er wolle letztendlich nur unterhalten und sieht sich nicht als öffentlichen Mahner.

Serin schafft in seiner Aneinanderreihung von gewissen Episoden aus seiner Referendariatszeit den Spagat zwischen brutaler Schul-Realität und Unterhaltung gepaart mit Ratlosigkeit und Selbstkritik. Auch wenn vielleicht nicht in jeder Schule ein solches Chaos herrscht, wie in Berlin Mitte, nach diesem Buch muss man zwangsläufig alle Referendare bewundern, die sich diesem Job stellen. Hut ab!


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