Samstag, 28. Juni 2014

Rezension „Die versteckte Lust der Frauen – Ein Forschungsbericht“ von Daniel Bergner



„Die versteckte Lust der Frauen – Ein Forschungsbericht“ von Daniel Bergner
 Dieses Buch erregte schon vor seinem Erscheinen in Deutschland reges Interesseviel Aufsehen. Zahlreiche Tageszeitungen rezensierten das Buch und führten Interviews mit dem Autor. Aber wie kann ein Forschungsbericht ein solches Medieninteresse hervorrufen? Ganz einfach: Es geht um Sex - aber auch wieder nicht. Es geht um Frauen - aber auch um Männer. Aber vor allem geht es um Lust - oder um das Fehlen der Lust. Das Interview mit dem Autor in einer Tageszeitung hat letzten Endes auch das bewirkt, was bezweckt war: Ich habe mir das Buch gekauft.

Frauen sind, was ihre Lust angeht, eingeklemmt zwischen Gesellschaft und Empfinden, zwischen Gehirn und Geschlechtsorganen. Denn was sie selbst über ihr sexuelles Empfinden berichten, stimmt meistens nicht mit dem überein, was Sexualforscher weltweit in verschiedensten Experimenten gemessen haben. Diese Forschungsberichte fasst Daniel Bergner zusammen. Und er stellt fest: Frauen sind ganz anders, als uns die Forschung und Ethik jahrelang glauben machen will.

In jedem Kapitel stellt er einen neuen Bericht vor und bringt ihn in Zusammenhang mit den anderen Berichten, die er zusammengetragen hat. Und diese kompakte Menge an Forschungsberichten und wissenschaftlichen Erkenntnissen zeichnet ein unglaublich vielschichtiges und umfangreiches Bild der weiblichen Lust, was alle bisherigen Annahmen auf den Kopf stellt. Das weibliche Verlangen hat eine weit größere, weit animalischere Macht, als bisher angenommen.

Frauen als Hüter der Monogamie, Frauen wollen feste Bindungen, Frauen brauchen Nähe und Vertrauen, Frauen brauchen Treue. All diese Vorurteile wirft Bergner über den Haufen. Daniel Bergner kommt in seinem Buch zu einem bahnbrechenden Ergebnis. Frauen sind nicht nur auf gleiche Weise sexuell, wie Männer, sondern sogar noch viel mehr. Sie neigen, nach den Ergebnissen, sogar eher zu Promiskuität als Männer. Sie verlieren schneller die Lust am Gewohnten, das „Begehrt werden ist ihr Orgasmus“, schreibt Bergner. Frauen haben von Natur aus einen viel stärkeren sexuellen Trieb, was Bergner anhand von mehreren Forschungsergebnissen nachweisen kann. Allein die engen moralischen Rahmen in unseren Kulturen, in denen sich die weibliche Sexualität bisher bewegen musste, belasten die den Frauen inne liegende Sexualität und setzten sie unter Druck. Das führt soweit, dass Frauen ihr Verlangen nicht einmal sich selbst gegenüber zugeben wollen. Dies schafft psychische Probleme.

Viele dieser Erkenntnisse sind bereits aus der Frauenbewegung bekannt, einige der Forschungsergebnisse sind auch schon ein paar Jährchen alt. Was Bergner schreibt ist also nicht grundlegend neu, nur die Art der Aufbereitung für ein breiteres Publikum und die kompakte Sammlung mehrerer Forschungsergebnisse und deren Bezüge untereinander, ist neu. Viele der Forscherinnen und Forscher, die Bergner interviewt hat, kannten sich untereinander nicht. Er öffnet neue Türen zu gemeinsamer Forschung, die vielleicht zu noch erstaunlicheren Ergebnissen führt.

Nun mag man sich fragen: Warum das alles? Sind wir in unserer Gesellschaft nicht schon genug von zu viel sexuellen Reizen überflutet? Ja, aber es geht hier nicht um Pornographie oder schlichte Fortpflanzungstriebe, mit denen weibliche Sexualität bis heute begründet wird. Es geht um Verlangen, Begehren und Liebe. Denn all diese Forschungen wurden überhaupt erst durchgeführt weil Psychologen weltweit ständig mit sexuellen Problemen ihrer Patienten zu tun haben, speziell die Paartherapeuten. Da gibt es Millionen von Menschen mit Problemen, denen man helfen wollte. Es ist Sand im Getriebe und man wollte herausfinden warum.

Jedes Kapitel beginnt und endet mit einer passenden Geschichte einer Frau mit einem Problem. Dieses Problem kann durch die Erkenntnisse im entsprechenden Forschungsbericht gelöst werden. Jedoch sind es gerade diese kleinen Geschichten, die diesen Forschungsbericht zwar belletristisch interessant und flüssig lesbar machen, aber andererseits die wichtigen Erkenntnisse zu sehr ins populärwissenschaftliche Milieu rücken, was wiederum ein falsches oder diffuses Licht auf sie werfen könnte. (Auf eine Beschreibung des Aussehens der Forscherinnen hätte ich beispielsweise gern verzichtet.) Auf der anderen Seite geht es ja gerade darum sich selbst zu erkennen, daher sollte dieses Buch eben gerade für jedermann (oder besser jedefrau) verständlich sein, damit alle den brisanten Inhalt begreifen und sich helfen können. Eine mutige Gratwanderung, die es bis ganz nach oben in die deutsche Presselandschaft geschafft hat.

Weiterführende Links zu den Arbeiten einiger im Buch genannter Forscher/innen (Texte auf Englisch) hat kleinerdrei zusammengesammelt, die ebenfalls eine Rezension zu dem Buch geschrieben hat. (Hier der Link dazu: http://kleinerdrei.org/2014/02/die-versteckte-lust-der-frauen-oder-sweet-dreams-are-made-of-this/)


Meredith Chivers: Publikationen, im Interview über “Arousing questions about female sexuality” und auf Twitter

Nancy Cott hat sich mit dem viktorianischen Standpunkt zur weiblichen Sexualität befasst. Einen Text darüber gibt es hier im Blog “Sexuality in American History”.

Kim Wallen veröffentlichte unter anderem dazu, wie unterschiedlich Frauen* und Männer* explizit sexuelle Fotos betrachten – hier gibt es dazu mehr Infos (Englisch).

Beverly Whipple hat zusammen mit Barry R. Komisaruk und Carlos Beyer-Flores ein Buch über “The Science of Orgasm” (hier auf Amazon) geschrieben. Komisaruk erzählt in diesem Text etwas über ihre Arbeit daran und die Ergebnisse.

Folge mir auf Facebook und Twitter, um immer über neueste Blogartikel informiert zu werden.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen