Mittwoch, 4. Juni 2014

Rezension „Das doppelte Lottchen“ von Erich Kästner


„Das doppelte Lottchen“ von Erich Kästner

Das Familienbild der 50er Jahre hat sich gewandelt. Das Bild von der alleinerziehenden Mutter oder dem alleinerziehenden Vater gehört heute schon fast zum Alltag – leider. Umso mutiger ist es, dass Erich Kästner in diesem Buch ein Familienbild beschreibt, was so überhaupt gar nicht in seine Zeit passt. 

Luise Palfy aus Wien und Lotte Körner aus München treffen sich im Ferienlager in Seebühl am Bühlsee und stellen fest, dass sie sich gleichen, wie ein Ei dem anderen und auch noch am selben Tag Geburtstag haben. Nach der Scheidung hat jedes Elternteil je eines der beiden Mädchen zu sich genommen und großgezogen. Die beiden Mädchen wussten bisher nichts voneinander. Bis sie allerdings akzeptieren, dass sie echte Zwillinge sind, vergeht erst einmal eine Weile. Doch dann beginnen sie zusammenzuarbeiten und hecken einen Plan aus. Luise soll als Lotte nach München zu ihrem Vater zurückfahren und Lotte als Luise nach Wien.

Der einzige, der diesen Tausch bemerkt, ist der Hund des Hofrats, denn das Mädchen riecht anders. Die Eltern und die Erwachsenen allgemein fallen auf den Tausch blind herein. Natürlich fällt dann auf, dass etwas nicht ganz stimmt, als die eine plötzlich Sachen kann, die sie vorher nie konnte und die andere Dinge verlernt hat, die ihr eigentlich immer gut gelangen. Doch erst als der Vater neu heiraten will, fliegt die Sache endgültig auf, denn Luise wird vor Kummer schwer krank. So steht bald die vereinte Familie am Krankenbett und die Eltern beginnen sich neu ineinander zu verlieben. Und tatsächlich beschließen sie es doch noch einmal miteinander zu versuchen und sie heiraten wieder. So gibt es am Ende doch die heile Welt der 50er Jahre mit dem klassischen Familienbild.

Bis dahin passieren aber noch allerhand Abenteuer und lustige Begebenheiten, die Kästner sehr lustig und kindgerecht beschrieben hat. Seine offene und humorvolle Art zu schreiben, kommt bei den Kindern aller Generationen gut an. Kästner nimmt seine jungen Leser ernst und fordert gar von den Erwachsenen, dass sie Kinder bleiben. Das ist auch einer der Gründe, warum die Kinder in dieser Geschichte durchweg als schlauer und vorausschauender, als Erwachsene beschrieben werden.

Die Veröffentlichung und Verfilmung dieser Geschichte sorgte in der Nachkriegszeit für heftige Diskussionen. Kästner hatte das Familienbild angegriffen. Ein Kinderbuch mit dem Thema Scheidung herauszubringen, war für die späten 40er Jahre sehr radikal. Zudem führt er eine selbstständige, alleinerziehende und berufstätige Mutter als Figur ein. In den Kinderbüchern der Nachkriegszeit gibt es kaum Krankheit und Tod oder eben zerrüttete Familienverhältnisse. Kästner bäumt sich gegen dieses Heile-Welt-Muster auf. Er schaut hinter die Kulissen und entdeckt überall Kinder, die das Elend sehen, die in kaputten Familienverhältnissen leben und Schwierigkeiten haben, damit fertig zu werden. Mit diesem Buch, mit Hilfe der Figuren, in die man sich leicht hineinversetzen kann, will Kästner Kindern eine Hilfe an die Hand geben, die psychischen Belastungen zu verstehen und aufzuarbeiten und aus eigener Kraft zu beseitigen. Kästner kommentierte das Buch irgendwann einmal so: „Wenn man aber den Kindern zumutet, unter diesen Umständen zu leiden, dann sei es doch wohl allzu zartfühlend und außerdem verkehrt, nicht mit ihnen darüber in verständiger und verständlicher Form zu sprechen!"

Obwohl es ein ernstes Thema behandelt, ist dieses Buch gleichzeitig sehr spannend und humorvoll geschrieben. Lachen und Weinen liegen hier nah beieinander. Auch wenn Kästner die Kinder vielleicht etwas zu sehr idealisiert als phantasievolle Wesen, denen alles gelingt, wenn sie es sich nur aus tiefstem Herzen wünschen, so schaffte er es eine Geschichte zu schreiben, die auch viele Generationen später noch brandaktuell ist und immer noch Kinder auf aller Welt in ihren Bann zieht

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