Dienstag, 27. Mai 2014

Rezension "Der Vorleser" von Bernhard Schlink



"Der Vorleser" von Bernhard Schlink
Die Geschichte spielt kurz nach dem zweiten Weltkrieg. Der 15-jährige Michael ist krank und lernt durch Zufall eine hilfsbereite junge Frau namens Hanna kennen. Wochen später will er sich bei ihr für die Hilfe bedanken und verliebt sich in die attraktive Frau Mitte dreißig. Sie lässt sich auf diese ungewöhnliche Liaison ein und bittet ihn im Gegenzug ihr vorzulesen aus den Büchern, die er in der Schule liest. Das geht so fast zwei Jahre. Die beiden machen sogar gemeinsame Campingausflüge. Sie unterhalten sich über vieles, doch bei persönlichen Dingen blockt Hanna ab. Und eines Tages ist sie spurlos verschwunden. Erst Jahre später sieht Michael sie wieder - als Angeklagte in einem Gerichtssaal. Er ist einer der Jurastudenten, die bei dieser Verhandlung anwesend sein dürfen. Es stellt sich heraus, dass Hanna im Krieg in einem KZ gearbeitet hat und nun des Modes an hunderten Frauen angeklagt wird. Dafür wird sie später auch zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt. Michael kämpft in einem inneren Konflikt gegen sich und seine Vergangenheit.

Während des Prozesses begreift Michael, dass Hanna Analphabetin ist. Aus Angst, das zuzugeben, gibt sie freiwillig lieber die volle Anklage zu, auch, wenn sie weiß, dass sie einiges gar nicht getan hat. Nun sitzt sie im Gefängnis. Michael beendet sein Studium, heiratet, bekommt eine Tochter und arbeitet als Rechtshistoriker. Erst als seine Ehe in die Brüche geht, beschließt Michael wieder Kontakt mit Hanna aufzunehmen. Er liest wieder vor und bespricht mehrere Kassetten und schickt ihr diese. Zu diesem Zeitpunkt sitzt Hanna bereits 8 Jahre im Gefängnis. Jahre später schreibt sie ihm einen kurzen krakeligen Brief und bedankt sich für die Geschichten. Mit Hilfe der Kassetten hat sie Lesen und Schreiben gelernt und beginnt im Gefängnis mit der Aufarbeitung ihrer Taten. Michael schreibt kein einziges Mal in den 10 Jahren, in denen er Kassetten bespricht, zurück. Und erst als nach 18 Jahren einem Gnadengesuch Hannas stattgegeben wird, besucht er sie zum ersten Mal. Er sieht eine alt gewordene Frau und es ist nicht mehr das selbe, wenn er mit ihr zusammen ist. Hanna nimmt sich schließlich das Leben kurz bevor sie aus der Haft entlassen wird. Will sie damit Verantwortung für ihre Taten übernehmen? 

Einfühlsam hat Schlink diese innere Aufarbeitung mit dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland beschrieben. Den Protagonisten treibt die Schuldfrage der nachfolgenden Generationen um. Er kann nicht Verstehen und Verurteilen gleichzeitig. Eine wirkliche Aufarbeitung des Nationalsozialismus hat weder im Osten noch im Westen wirklich stattgefunden. Das Buch zeigt einmal mehr, dass uns stupides schwarz-weiß-Denken nicht weiterbringt. Hanna wird als einfache Frau mitten aus dem Leben dargestellt. Sie ist normal, nicht besonders grausam oder besonders schlecht und doch kämpft sie mit ihrer grausamen Vergangenheit. Gerade weil Schlink "die Nazis" menschlich erscheinen lässt, ist dieses Buch vielleicht ein erster Ansatz zur wirklichen Aufarbeitung. Jeder sollte sich die Frage stellen welche Rolle seine Großeltern oder Urgroßeltern im Zweiten Weltkrieg gespielt haben und aus welchen Motiven sie so handelten.

Es ist mutig von Schlink den Tätern ebenfalls eine Opferrolle zuzubilligen, gleichzeitig erklärt er Hanna für unmündig, weil sie eine Analphabetin ist. Wir sehen die Auseinandersetzung mit dem Problem Täter und Opfer aus der Sicht des Protagonisten Michael. Die Frage nach der Kollektivschuld war für seine Studentengeneration erlebte Realität. Er ist nicht in der Lage sachlich über die Schuldfrage nachzudenken, da er durch seine Beziehung zu Hanna seiner Meinung nach selber zum Täter wird. Michael akzeptiert seine Vergangenheit irgendwann einfach. Das macht es nicht leichter für ihn, aber niemand kann seine eigene Vergangenheit ändern. Schlink schafft es immer wieder den Leser zum Nachdenken anzuregen. Dabei hilft sein leicht verständlicher und doch bildreicher Sprachstil. Doch eine Antwort auf die Schuldfrage finden, das muss jeder Leser selbst.

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